Center SIGA, Luzern
Ausgangslage
Das international tätige Familienunternehmen SIGA baute 2017–2019 seinen Standort Schachen/Luzern aus. Noch während des Bauprozesses wurde das Kunstkonzept einbezogen. Der Vision von Reto und Marco Sieber folgend hat Gian Haene Natur und Klimawandel zum Thema seiner künstlerischen Intervention gemacht.
Das Tor der Transformation durchschreiten
In ihrem Neubau gibt die SIGA der Kunst einen prominenten Platz: den Eingangsbereich. Dieser bildet einen eigenen Raum, der dem Gebäude vorgelagert auch ausserhalb der Arbeitszeiten betreten werden kann.
Anregung zum realisierten Werk war eine von Gian Haenes früheren Arbeiten, das Portal 16.35, das er 2009 an der Rössligasse 12 in Luzern ortsspezifisch aufbaute. Das Tor als Symbol für Übergang und Öffnung hat die SIGA-Eigentümer Reto und Marco Sieber dazu inspiriert, den Eingangsbereich künstlerisch gestalten zu lassen.
Ganz im Sinn des Innovationszentrums beschritt auch Gian Haene neue Wege für seine künstlerische Intervention. Dabei war es Glück und Herausforderung zugleich, dass das Gebäude noch am Entstehen war. So ist sein Werk auch nicht ein Bild an der Wand, sondern in der Wand. Ein Betonguss, basierend auf einem Holzschnitt, dessen Linien und Furchen mit der Mauer eine Einheit bilden.
Entscheidung zwischen den Zeiten
Das Werk entfaltet seine Kraft im Spannungsfeld zwischen zwei Bildern. Wer das Gebäude betritt, wird vom wohlvertrauten Bergpanorama des Pilatus empfangen und hineingeleitet. Gegenüber beim Ausgang des Gebäudes kommt eine überschwemmte Flusslandschaft ins Blickfeld.
Beide Bilder laufen als Band über eine Ecke. Die Darstellung des Pilatus erfolgt jedoch in einem höheren Format, das einen touristisch distanzierten Blick auf das scheinbar unerschütterliche Bergmassiv erlaubt. Der Fluss und der dahinter liegende Horizont hingegen werden von den im Sturm gebeugten oder gar geknickten Bäumen überlagert, der Betrachtende ist innerhalb des schmalen Gesichtsfelds der Dynamik der Ereignisse ausgesetzt.
Der Fluss ist nicht irgendeiner, sondern die Kleine Emme, an deren Ufer sich das SIGA-Zentrum befindet, und wo auch Gian Haene in Studienzeiten sein Atelier hatte. Dieses wurde 2005 während seines Aufenthalts in Australien überschwemmt; der Luzerner Schwanenplatz – sonst Treffpunkt für Touristen, die den Blick auf den Pilatus geniessen – stand meterhoch unter Wasser ...
Zusammen umfassen die beiden Wandreliefs den Raum und sprechen dort, wo Mitarbeiter und Kunden ein- und ausgehen, von der Veränderung, die in der Natur seit ewigen Zeiten stattfindet. Zwischen den Zeugen des Klimawandels und der intakten oder scheinbar intakten Natur sieht sich der Mensch vor der Entscheidung, Verantwortung zu übernehmen oder nur Zuschauer zu sein.
SIGA hat sich schon vor Langem entschieden, mit innovativen Produkten Verantwortung für nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz zu übernehmen. Die Klebstoffe, Klebebänder und Membranen, die von SIGA seit 1966 produziert werden, tragen wesentlich dazu bei, dass Gebäudehüllen dichter und somit umweltfreundlicher werden. Gebäude verbrauchen 50 Prozent des weltweiten Energiebedarfs – vor allem für das Heizen und Kühlen.
Aus einem Guss
Gian Haenes Werk integriert sich in einen Kontext, in dem Innovation und Nachhaltigkeit auch in der Architektur zum Ausdruck kommt. Der grösste Teil der Aussenfassade und die Decke des Eingangsbereichs wurden aus Holz erstellt. Die Photovoltaik-Zellen in den Glasscheiben desTreppenhauses kontrastieren durch den technischen und hochmodernen Anblick mit der Holzfassade, und auf dem Vorplatz befinden sich sechs Ladestationen für Elektroautos.
Holzschnitte, wie sie Gian Haene seit vielen Jahren schafft, sind auch die Basis für seinen künstlerischen Beitrag bei der SIGA. In Tuschmalerei auf rohes MDF entworfen, sind die beiden Bilder in ca. drei Monaten Holzschnittarbeit entstanden. Mit der Umsetzung in Beton hat Gian Haene Neuland betreten. Er konnte dabei auf die Unterstützung von Pascal Kunz zählen, Berufsverantwortlicher der Maurerinnen und Maurer des gewerblich-industriellen Bildungs- zentrums Zug. Eine Negativform des Holzschnitts musste hergestellt werden. Die Recherche zu Art, Dicke und Gewicht des Betons war anspruchsvoll, bevor die Reliefs als Einheit mit der Wand gegossen werden konnten.
Die Gestaltung des gesamten Eingangsbereichs ist auf die Kunst am Bau abgestimmt. Ist das Tageslicht zu schwach, wird der Raum zusätzlich durch Kunstlicht angeleuchtet. Die Lichtquellen lassen so die dreidimensionale und taktile Qualität des Reliefs unterschiedlich hervortreten. Im Dialog zwischen Lichttechnikern und Architekten wurde ein Anstrich für die Bilder gewählt, welcher die Optik des rohen Betons zitiert und gleichzeitig das Relief akzentuiert.
Vom Entwurf bis zur Realisierung verging ein Jahr. In diesem komplexen Projekt war für Gian Haene auch die Begleitung durch Beda Schlumpf äusserst wertvoll, der ihn in der Koordination der Arbeitsschritte und in Verhandlungen mit den Bauunternehmern unterstützte.
Das SIGA Innovationszentrum wurde im September 2019 eröffnet.