Gian Häne

Biographie

Vom Atelier zur Ausstellung

Wie Gian Haene arbeitet und was ihn antreibt – ein Gespräch

Thomas Kaiser

TK: Gian, deine Grossmutter erinnerte sich oft an eine «dunkle, etwas seltsame Gestalt»; an Ernst Ludwig Kirchner. Ab 1923 wohnte der expressionistische Künst­ ler ja auch in der Nähe, im Haus auf dem Wildboden am Eingang zum Sertig. Wann hast du erstmals Werke von Kirchner gesehen?

GH: Meine Grossmutter hat natürlich früh mitbekommen, dass ich alles bekritzelte, dass ich gern zeichnete und malte. Gerade auch im Sommer, wenn ich mit ihr und dem Grossvater in dessen Jagdhütte im Flüelatal war. Erzählt wurde tatsächlich, dass Kirchner den Leuten etwas seltsam vorgekommen ist, wenn er etwa an einem Zaun herumgeschnitzt hat. In der Wohnung der Grosseltern hing damals auch ein «Kirchner»; eine Lithografie war das wahrscheinlich und es gab noch anderes, das vom Künstler stammte. Ein Grund dafür war, dass meine Grossmutter Kirchner mit Eiern belieferte und er ihr Zeichnungen als Zahlung gab. Die Werke wurden mitunter für besondere Zwecke gebraucht: Im WC sollten sie etwa die Zugluft und die Kälte abhalten ... Später haben wir nach solchen Werken gesucht, aber keine mehr gefunden. Werke von Kirchner kannte ich wohl schon früh, aber ich sah sie wohl mit kindlichen Augen an, nicht als Werke eines berühmten Künstlers. Mich interessierte, wie die Landschaft abgebildet war, die ungewöhnliche, aber doch auch sehr vertraute Sichtweise auf die Davoser Landschaft.

TK: Deine Werke, zumindest die Holzschnitte, werden oft mit Kirchner in Verbindung gebracht. Zu Recht?

GH: Ich habe Kirchner nie im Kopf, wenn ich ein Werk in Angriff nehme. Sicher aber gibt es Zusammenhänge; Kirchner beschäftigte sich ja mit dieser Landschaft; den Bergen, Tälern von Davos. Manche Orte oder Gegebenheiten hier rufen ja geradezu zur künstlerischen Auseinandersetzung: das Sertig etwa oder das Tinzenhorn ... Ich betrachte Kirchners Werke gerne, aber ich hatte mir nie vorgenommen, genau so etwas will ich auch mal machen. Natürlich, das Expressionistische und der Holzschnitt an sich, das ruft nach Vergleichen, aber das war mir nie wichtig, es störte mich also auch nie gross ...

TK: Wann genau greifst du zum Bleistift oder zum Holz­meissel?

GH: Die Natur inspiriert mich natürlich. Aber vor dem Landschaftlichen ging es in meinen Arbeiten auch viel um das Körperliche, um das Körperbewusstsein. In meiner Diplomarbeit an der Kunstschule Luzern beschäftigte ich mich dann mit der Synergie von Körper und Wahrnehmung. Wenn ich draussen in der Natur bin, dann fliesst das zusammen: Ich beobachte, was passiert, wenn ich einen Schritt mache; was das körperlich heisst, wie das die Sichtweise auf die Landschaft verändert. Ich habe auch meist einen kleinen Notizblick dabei, in dem ich rudimentär Skizzen mache, Wörter festhalte. Zudem, wie man das heute halt so macht, greife ich auch oft zum Smartphone, mache ein Foto. So entsteht eine Art Archiv ...

TK: Deine Werke entstehen aber nicht direkt aus diesem Archiv heraus.

GH: Nein, die Notizen, Fotos dienen mir zur Bewusstwerdung, sie dokumentieren sozusagen, was über die Netzhaut ins Gehirn gekommen ist. Erst darin, im Kopf, dann auch mit der Hand entstehen die Werke. Oft vergehen aber Tage, gar Wochen, bis ich beginne. In dieser Zeit arbeitet es in meinem Unterbewusstsein, beschäftige ich mich aber auch sehr direkt mit dem Gesehenen, dem Erlebten.

TK: Träumst Du von der Natur, von Landschaften oder auch von einem künftigen Werk?

GH: Ich träume tatsächlich oft von Wanderungen, die ich gemacht habe, von der Natur, von Begebenheiten. Manchmal träume ich auch von einem fertigen Werk ... Lustigerweise merke ich schon im Traum, ob dieses Bild oder jenes Werk, das ich noch gar nicht in Angriff genommen habe, «funktioniert». Dann weiss ich auch, ob ich das Bild machen werde oder nicht.

TK: Du setzt aber kaum alles so um, wie du es erträumt hast ...

GH: Während der tatsächlichen Arbeit ist es natürlich schwierig, dem Traumbild nahezukommen. Es geht ja dann ja auch etwa um Materielles. Wenn ich einen Holzschnitt mache, muss ich überlegen, wie der Bildkörper aussieht; ist er skulptural, kann man ihn von allen Seiten betrachten oder führt der Holzschnitt «nur» um eine Ecke? Ich muss auch sehr direkt entscheiden, was Sinn macht und was stimmt; ob etwa eine Alpenrose verschwindend klein oder gar übergross sein muss und wie der «Luftraum» um die Alpenrose herum gestaltet werden muss ...

TK: Solche Prozesse gehen kaum ohne Zweifel vonstatten ...

GH: Natürlich, ich habe immer wieder grosse Zweifel. Gerade beim Holzschnitt braucht es auch Mut, eine Linie zu ziehen, einzukerben. Im Grunde genommen ist es ja auch frech, mit dem Meissel zu arbeiten. Was da entsteht, kann man nicht rückgängig machen, es muss sitzen ... Daran zu glauben, bleibt bei aller Erfahrung immer noch ein Akt des Wagemuts.

TK: Gibst du manchmal auch Werke auf, schmeisst du Ange­fangenes weg?

GH: Ja, das kommt immer noch ab und zu vor. Wobei mir bei Arbeiten auf Papier das Wegschmeissen nicht so schwerfällt wie bei Holzschnitten. Ganz profan spielt bei Holzschnitten ja auch eine Rolle, dass der Holzkörper Geld gekostet hat. Manchmal aber kann aus etwas «Falschem» auch etwas Neues entstehen, etwas, das ich gar nicht im Sinn hatte. Immer ist dieses Neue aber mit einem Wegnehmen, einer Reduktion verbunden: Ich muss ja radikal Spuren und Fehler beseitigen. Dann gibt es manchmal Überraschendes – und manchmal werde ich erst einmal wütend. Dann verwerfe ich alles, will das Werk schon wegwerfen, gar zerstören. Hin und wieder, wenn ich später, manchmal nach Tagen, die Arbeit nochmals betrachte, dann kann es aber sein, dass ich finde, so passt es ...

TK: Die Suche nach der richtigen Form, nach dem stimmigen Bild ist das eine. Daneben gibt es aber noch einen Alltag, der manchmal wohl auch die Kunst bedrängt. Belastet dich, dass Kunst auch Geld einbringen muss, dass du Mails schreiben, Rechnungen bezahlen musst?

GH: Manchmal höre ich: «Ah, das hat der Gian schön gemacht, so ein Künstlerdasein ist sicher was Romantisches, das stell ich mir schön vor.» Ich bin aber selbstständig – und zwar selbst und ständig. Das ist ein alltäglicher Kampf, und da hat sich schon auch viel verschoben in den letzten Jahren: Ich muss heute die Ruhe suchen, mir die Zeit nehmen, weil beides nicht mehr einfach so da ist wie in der Jugend. Die Mails, Termine, all das hat zugenommen. Das heisst auch: Ich muss eine Balance finden zwischen dem, was ich machen will, und was auf dem Kunstmarkt ankommt. Ich lasse mich da nicht drängen, aber ich kann natürlich auch nicht gänzlich am Brot vorbeiarbeiten. Das zu behaupten wäre unehrlich.

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