Gian Häne

Biographie

Sertig trifft auf Suiseki

Von Davos nach Luzern – eine Künstlerjugend

von Thomas Kaiser

Schwarze Limousinen fahren vor, Bodyguards steigen aus, sichern die Umgebung und das Haus, das Hilde und Klaus Schwab in Clavadel besuchen wollen. Kathrin Haene begrüsst den Gründer des Weltwirtschaftsforums und seine Frau nicht viel anders als jeden anderen Besuch. Mit Kaffee und natürlich mit Köstlichkeiten aus der familieneigenen Hausbäckerei.

Das Ehepaar Schwab ist wegen Kathrin und Paul Haenes Sohn Gian nach Clavadel gekommen. Respektive wegen der Arbeiten des 1979 geborenen Künstlers. Die Schwabs wissen wohl, was sie im Falle von Gian Haene erwartet: niemand, der ihretwegen in den schwarzen Anzug steigt, und keiner, dem kurze Hosen oder Bergschuhe peinlich wären. Gian Haene ist, wie er manchmal sagt, «halt eben einfach der Gian». Einer, der Menschen überhaupt gern mag, und keiner, der sich je nach Mensch anders gibt, als er eben ist.

Auch wenn es um seine Kunst geht, ist es Gian Haene nicht so wichtig, ob es nun der ehemalige US-Vizepräsident und jetzige US-Präsident Joe Biden ist, der ein Werk von ihm besitzt, oder ob sich eben die Familie Schwab für seine Arbeiten interessiert. Wichtig für ihn sind nicht Name oder Rang, sondern dass seine Kunst die Menschen berührt. Und das tut sie oft so sehr, dass die Menschen die Werke selbst auch gleich berühren wollen. Um zu prüfen, wie sich diese mit dem Holzmeissel gefertigten Landschaften anfühlen. Um zu ertasten, wie eine Bergflanke beschaffen ist, oder um den Konturen nachzufahren, die in Gian Haenes Arbeiten selbst der Himmel noch oft besitzt.

Wie kommen diese Arbeiten zustande? Was braucht es, damit nicht einer kommt und bloss denkt: «Ah, da hat wieder mal ein Künstler einen Berg gemacht»? Vielleicht ist es eine ganz spezielle Form von Wissen, die sich Gian Haene aneignet, wenn er sich mit einer Berglandschaft auseinandersetzt. Das direkte Erleben der Landschaft, das Verstehen, was einen Berg ausmacht, das ist vielleicht der Anfang. Ein Anfang, der stundenlang gehen kann, manchmal Jahre – um dann in einen Prozess einzumünden, in dem sich das Gesehene und Gespürte mit neuen Gedanken und Erfahrungen verweben –, auch mit Erfahrungen aus anderen Kulturkreisen.

So beschäftigt sich Gian Haene genauso mit Suiseki, der asiatischen Kunst, in der Natur vorgefundene Dinge so zu präsentieren, dass sie den Geist meditativ stimmen, wie immer wieder mit dem Sertig – dem Tal seiner Kindheit, der Landschaft, in der für ihn eine «Quelle des Ursprungs» liegt: der Wasserfall ganz hinten, Hinter den Eggen.

Im Sertig besuchte Gian Haene bereits den Kindergarten, dann die Schule. Im selben Zimmer probierten die Jüngsten diese Sache mit den Buchstaben aus, während die Älteren rechneten und Aufsätze schrieben. Häufig wurde auch musiziert und Theater geprobt. Kunst und Kultur seien der Lehrerin Marina Wolf-Casper wichtig gewesen, sagt Gian Haene rückblickend. Bei ihr sei denn auch der Zeichenunterricht nie zugunsten anderer, sonst oft als wichtiger angesehener Fächer vernachlässigt worden. Im Sertig schloss Gian Haene auch Freundschaften, die bis heute halten. Mit Patrick Hohl etwa spielte er hinten beim damaligen Kurhaus, mit ihm ging er später auch nach Davos in die Lehre bei der Garage Dosch: Patrick als Autospengler, Gian als Autolackierer. Denn auch wenn es Gian Haene schon damals zur Kunst hinzog, einen Beruf wollte er zuerst doch erlernen. Und der Beruf des Autolackierers erschien ihm naheliegend: «Hat ja was mit Farben zu tun», dachte er.

Der Weg zur Kunst führte ihn dann aber doch weg von Davos. An der Hochschule Luzern studierte er zunächst Design, wechselte dann zur bildenden Kunst, machte schliesslich noch den Master «Kunst im öffentlichen Raum». In Luzern wollte ihn dann eigentlich auch eine Davoser Lehrerin mit ihren Zeichnungsschülern besuchen. Eine Lehrerin, bei der Gian Haene kurz zuvor noch selbst in die Schule gegangen war: Susanna Beetschen. Damals wurde nichts aus dem Besuch, weil Gian Haene gerade nach Japan reiste. Später schaute Susanna Beetschen aber ohne Schüler in Luzern vorbei – und nach einem gemeinsamen Ausflug mit dem Schiff reichte es ihr am Abend prompt nicht mehr nach Davos zurück. Die beiden wurden ein Paar, und Gian Haene kam der Liebe wegen zurück nach Davos.

Seit ein paar Jahren leben die beiden in Chur, wo Gian Haene auch sein Atelier hat. In Clavadel und im Sertig sieht man Gian Haene dennoch häufig. Zusammen mit seinem Göttikind oder dann mit seinem Skizzenbuch. Seine Sertiger Arbeit «Quelle des Ursprungs», die den Holzschnitt «Wasserfall im Sertig» mit einer Installation verbindet, hat er aber noch nie öffentlich ausgestellt. Einmal hat er hierfür auch eine Absage erhalten. «Damit muss man eben leben», sagt Gian Haene einfach.

Gezeigt werden seine Werke natürlich doch. Etwa in der Churer Galerie Luciano Fasciati oder im Jahr 2012 im alten Kirchlein von Monstein bei Davos. Der Grafiker Beat Rüttimann lud ihn damals ein, seine Werke zu zeigen, doch der Künstler zögerte zunächst. «Gian», fragte er sich selbst, «gehst du jetzt wirklich in eine Kirche, wo du doch eigentlich aus der Kirche ausgetreten bist?»

Seine Bergbilder im sakralen Raum, eingebettet in die alpine Landschaft von Davos Monstein, das fand er dann aber doch stimmig. Und ziemlich viele Menschen fanden das wohl auch. Der Besucherandrang war jedenfalls gross.

Das Gesehene und Gespürte mit neuen Gedanken und Erfahrungen verweben – das ist natürlich noch nicht der ganze künstlerische Prozess. Die eigentliche Arbeit, das Schnitzen etwa, das habe für ihn aber fast etwas Medita- tives, sagt Gian Haene. Hier komme es dann direkt zur Abstraktion, zur Konzentration auf das Wesentliche. Der Holzschnitt sei für seine Kunst eine ideale Technik: «Er verlangt klare Linien, will, dass man sich in die Materie hineingräbt, das Wesentliche herausholt, das Überflüssige weglässt.» Fehler verzeihe der Holzschnitt jedoch nicht, einfach was wegradieren gehe ja nicht.

Vielleicht entspricht der Holzschnitt Gian Haene auch darum so gut – weil hier nichts versteckt, nichts retuschiert wird. Das charakterisiert ja nicht nur Gian Haenes Kunst, sondern auch ihn selbst. Gian Haene bleibt ja schliesslich auch dann Gian Haene, wenn in Clavadel wieder mal schwarze Limousinen vorfahren und Bodyguards das Elternhaus sichern.

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